Dominanz – ein Themenabend im THV (28.7.2005)

 

Die vorliegende Zusammenfassung repräsentiert strukturiert die wichtigsten neuen Erkenntnisse, die ich über das Thema Dominanz gewonnen habe. Meine Beurteilung beruht i) auf wissenschaftlichen Studien (also solchen Publikationen, deren Daten unter definierten/kontrollierten Bedingungen erhoben und in internationalen Fachzeitschriften publiziert wurden), ii) auf Überlegungen, die die biologische Relevanz von Verhaltensweisen betreffen und iii) auf persönlicher Überzeugung, dass Gewalt NIE eine Lösung sein kann!

Die Dominanztheorie:

Entstehung: 1802 wurden erstmals Rangordnungen bei Hummeln beschrieben. 1922 wurde eine Dominanztheorie entwickelt, um das Sozialverhalten von Hühnern, deren Sozialstatus durch einfache lineare Hierarchien gebildet wird, zu erklären und vorauszusagen.

Wozu dient die Dominanztheorie? Die Dominanztheorie ist ein theoretisches Konstrukt, das reale Beziehungen organisierten Gruppen beschreiben, erklären und vorhersagen soll.

Definition der Dominanztheorie: Es besteht noch immer keine Einigkeit darüber, was Dominanz bedeutet!!
Es gibt eine enorme Vielzahl von Definitionen bezüglich der Dominanztheorie: empirische (Hypothesen werden durch systematische Beobachtungen überprüft); theoretische; strukturelle (beschreibt Verhaltensweisen in Beziehungen); funktionelle (wozu dient eine Verhaltensweise); agonistische (sieht Dominanz als Aggression/Kampf); individuelle (sieht Dominanz als Eigenschaft eines einzelnen Tieres); beziehungsassoziierte (sieht Dominanz als Merkmal von Zweierbeziehungen – linear: A dominiert B immer, B dominiert C immer, also dominiert auch A immer C, …; nicht-linear: kann extrem komplex sein); …..

`    Die auf Hunde bezogene häufigste Definition von Dominanz ist: Vorrangiger Zugang zu Ressourcen. Das wäre eine empirisch-agonistische Definition.

Konkurrenzverhalten in Gruppen:

Gruppenmitglieder konkurrieren um Ressourcen (Nahrung, Paarungspartner, …) hauptsächlich agonistisch. Da aktive Aggression jedoch riskant für das Überleben eines Individuums, eines frei lebenden Rudels und letztlich der gesamten Art ist, werden andere Strategien durch natürliche Auslese gefördert.

Da wäre zunächst das Taxieren, also das Abschätzen von Größe, Gesundheitszustand und „Waffen“ des Gegners gefolgt von der Einschätzung, wie wahrscheinlich es wäre, eine direkte Konfrontation mit dem Gegner zu gewinnen.
Ritualisierte Kämpfe dienen dazu, die persönlichen Waffen zur Schau zu stellen, um einen Ernstkampf zu vermeiden.
Unterwerfung zeigt dem Gegner, dass man nicht (mehr) um die fragliche Ressource konkurriert (aktiv: zusammengekauert, klein, Ohren unten und flach am Kopf, Rute tief, häufig zwischen den Schenkeln, wedeln mit dem gesamten Hinterteil, Schnauze des Gegenübers lecken
ð modifizierte Futterbettelaktion, um Toleranz hervorzurufen; passiv: hinlegen, manchmal Bauch zeigen, Ohren unten und flach am Kopf, Rute tief, wedelt häufig leicht, Urin absetzen ð Aktionsmuster des Welpen als Reaktion auf die elterliche Untersuchung und Reinigung). Unterwerfung tritt nicht primär während oder nach einem Kampf auf, sondern stattdessen, denn sie dient dazu, Eskalation zu vermeiden.
Beschwichtigungssignale werden ausgesandt, um keine Angriffsfläche zu bieten.

Kommt es – in wenigen Fällen – tatsächlich zum Kampf, liegt das meist daran, dass durch die Abschätzung nicht eindeutig geklärt werden konnte, wer der Gewinner wäre! Der Verlierer geht aus dieser Auseinandersetzung mit gesteigerten Glucocorticoid-Hormonen heraus, wird also physiologisch entmutigt und neigt in näherer Zukunft dazu, sich seltener auf Kämpfe einzulassen und künftige Kämpfe tendenziell eher zu verlieren. Der Gewinner beendet den Kampf mit gesteigertem Testosteron, wird also physiologisch ermutigt. Interessanterweise fangen Gewinner auch in Zukunft nicht häufiger Kämpfe an!!! Künftige Zusammentreffen werden scheinbar häufig vom Verhalten des Verlierers bestimmt, der Demutsgesten aussendet, die der Gewinner akzeptiert.

Dennoch: So einfach ist es nicht!!! Bezogen auf eine konkrete Situation kann der Verlierer stärker motiviert (z.B. hungriger) sein, wodurch seine Chancen, eine Auseinandersetzung um Futter zu gewinnen massiv gesteigert werden!!! Verlierer setzen außerdem auch häufig andere Strategien anstatt direkter Konfrontationen ein, und gelangen dennoch an die begehrte Ressource. Zudem besteht die Möglichkeit, dass ein Team von Verlierern einen Gewinner besiegt. Und last but not least gibt es Konstellationen, wo manche Tiere in bestimmten Situationen immer gewinnen (Begabungen), in anderen jedoch immer verlieren (Defizite).

`    Schlussfolgernd sind die Beziehungen in Gruppen vielfältig und extrem komplex. Das eigentliche Ziel der Dominanztheorie, nämlich Beziehungen zwischen Mitgliedern organisierter Tiergesellschaften zu beschreiben, zu erklären und voraussagen zu können, wird also naturgemäß schwierig zu erreichen sein!!! 

Die Sache mit dem Rudel und dem Alpha (Rudelführer):

Rangordnung bei Wölfen (Canis lupus): 1975 beglückte uns u.a. Eric Zimen mit einer Studie über bunt zusammengemischte Wölfe in Gefangenschaft, in der er beschrieb, dass in Wolfsrudeln strikte Dominanzhierarchien gebildet werden. Jeder Wolf hatte das Bestreben, in der Hierarchie nach oben zu klettern. Je höher der Wolf in seinem Rang stieg, desto aggressiver präsentierte er sich.

Anwendung der Rangordnungsregeln bei Hunden (Canis lupus familiaris): Die Erkenntnisse des Herrn Zimen und seiner Konsorten fanden alsbald Anwendung an Haushunden. Folgende Maxime sind danach in jedem Fall zu beachten:

·        Essen Sie selbst etwas, bevor Sie den Hund füttern, denn der Alpha isst zuerst.

·        Lassen Sie den Hund keinesfalls im Bett schlafen, denn der Alpha teilt sein Lager nicht mit Rangniederen.

·        Gestatten Sie dem Hund nicht, sich oberhalb der Treppe hinzulegen, denn der Alpha beansprucht die höchst gelegene Stelle für sich.

·        Erlauben Sie keinesfalls, dass der Hund im Eingangsbereich oder der Tür liegt, denn der Alpha beobachtet das Kommen und Gehen seines „Rudels“.

·        Steigen Sie niemals über Ihren Hund. Er soll aufstehen und dem Alpha den Weg frei machen.

·        Lassen Sie Ihren Hund niemals zuerst durch die Tür gehen, denn der Alpha hat das Privileg, als Erster zu gehen.

·        Hunde, die an der Leine ziehen sind dominant. Nur der Alpha führt das Rudel.

·        Lassen Sie nie den Hund bestimmen, wann ein Spiel beginnt oder endet, denn der Alpha kontrolliert das Spiel.

·        Lassen Sie Ihren Hund niemals ein Beutespiel gewinnen, denn die Trophäe gewinnt immer der Alpha.

 

24 Jahre später - zurück zu den Wölfen: Es dauerte immerhin knapp ¼ Jahrhundert, bis sich vieles relativierte. David Mech, der 13 Jahre lang frei lebende Wölfe auf Ellesmere Island (Kanada) beobachtet hatte, beschreibt das typische Wolfsrudel als Familie, deren soziale Interaktionen sehr ruhig ablaufen. Die erwachsenen Elterntiere sind sehr liebevoll und tolerant, führen die Aktivitäten der Gruppe an und übernehmen die Gruppenleitung in einem System der Arbeitsteilung gemeinsam, d.h. beim Weibchen überwiegen Aktivitäten der Betreuung und Verteidigung der Welpen, während sich das Männchen eher der Jagd, der Futterversorgung und den damit verbundenen Wanderungen widmet. In frei lebenden Wolfsrudeln sind Dominanzbezeugungen unüblich. Stattdessen sind Wolf-Wolf-Interaktionen geprägt von Konfliktvermeidung durch ein ganzes Repertoire von kontaktfreier Körpersprache, von lautlichen Signalen und von sozialen Konventionen!!!

Nochmals 4 Jahre später meint Günther Bloch (nach 11-jähriger Studie von Wölfen in freier Wildbahn) ebenfalls, dass man nicht mehr von einem „Alphakonzept“, sondern vom „Eltern-Nachwuchs-Dominanz-System“ sprechen muss. Er ist der Ansicht, dass die „Macht“ (= hoher Sozialstatus) der „Alphawölfe“ (= Elterntiere) auf „Wissen und Erfahrung“ (= komplexe Kenntnisse über den Lebensraum) sowie auf einem ausgeprägten „Sinn für Gemeinsamkeit“ beruht.

Definition „Rudel“ – Definition „Alpha“: Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort Rudel für jeden x-beliebigen Haufen an Individuen herangezogen.

Streng biologisch gesehen ist ein Rudel jedoch eine Familie, d.h. ein Elternpaar und dessen Nachkommen der letzten 1-3 Jahre. Jungwölfe verlassen das Rudel dann und gründen ein eigenes Rudel – werden also nach der Definition von Mech und Bloch selbst zu Alphatieren, denn Alpha ist nicht mehr und nicht weniger als das Familienoberhaupt. Stirbt ein Elternteil, kann der hinterbliebene Partner eine neue Bindung eingehen – manchmal tritt danach eines der eigenen Nachkommen an die Stelle des hinterbliebenen Elternteiles, indem es sich mit seinem/seiner Stiefvater/-mutter verpaart!
Die viel gerühmte Wolfs-Dominanzhierarchie ist in erster Linie natürlicher Ausdruck von Alter, Geschlecht und reproduktiver Struktur der Gruppe (Wow – als wäre es bei uns Menschen anders!).

Die Definition des Rudels ist bestenfalls folgendermaßen erweiterbar: Ein Rudel ist eine soziale Einheit, die als stabile Gruppe jagt, Nachkommen aufzieht und ihr gemeinsames Territorium verteidigt.

`    Aus diesen Definitionen ist mal eines sicher ganz klar: Ein Mensch kann niemals Rudelführer seines Hundes sein!!! ABER:

s  Gibt es eigentlich überhaupt Hunderudel? 5 Studien an wild/frei lebenden Hunden zeigen deutlich, dass Hunde – egal ob im städtischen oder ländlichen Raum – NICHT in sozial strukturierten Rudeln leben sondern bestenfalls unstrukturierte Gruppen bilden. Am häufigsten bestehen diese losen Assoziationen aus 2-3 Tieren und werden nach kurzen Perioden wieder aufgelöst. Solche Gruppen bieten einen Selektionsvorteil, wenn Gefahr von Raubtieren ausgeht und sie dienen der Fortpflanzung. Hunde im städtischen Bereich zeigen hingegen sogar eine starke Tendenz, sich aus dem Weg zu gehen. Besonders Stadthunde ernähren sich von Abfällen, aber auch Hunde aus ländlicher Umgebung jagen kein Großwild, was das Jagen in Gruppen (Rudeln) unnötig macht und dem Einzelgänger ernährungsmäßig sogar Vorteile bietet. Die Welpen werden – im Gegensatz zu Wölfen – ausschließlich von der Hündin versorgt und ihre Überlebenschancen sind nahezu null. FAZIT: Tiere passen sich natürlicherweise relativ rasch an ihre tatsächliche Umgebung an und nützen sämtliche Überlebensstrategien. Da das Leben in Gruppen heutzutage nur wenig Vorteile für Hunde bietet, bilden sie keine Rudelstrukturen aus.

Beziehungen zwischen Hunden, die in einem Haushalt leben:

Hunde, die mit einem oder mehreren Artgenossen in einem Haushalt leben, unterscheiden sich meist durch Rasse und Alter und sind üblicherweise nicht verwandt. Nach optischer Einschätzung werden dann auch im Spiel Informationen zur Einschätzung des Gegenübers gewonnen. Wird keine Unterwerfung signalisiert, kann es manchmal auch zur Auseinandersetzung kommen, die meist laut und kurz abläuft und ritualisiert ist, also auch zum Beurteilungsprozess dazugehört. Üblicherweise lösen sich diese Konfrontationen im stattfindenden Lernprozess von selbst auf und es entwickelt sich eine Beziehung zwischen den Hunden, die jedoch auch wiederum einem Entwicklungsprozess unterworfen ist.

Zu beachten wäre in jedem Fall, dass in einem Haushalt mit mehreren Hunden vermehrt Stress auf Grund von zu engen Bedingungen, Reizüberflutung oder unpassender Zusammensetzung der Gruppe (Antipathien) entstehen kann. Meist ist diese permanente Belastung auch Ursache für andauernde Reibereien unter den Hunden! Diese lassen sich – schon alleine wegen der bisher besprochenen Details – sicher nicht dadurch lösen, dass man den angeblich dominanten Hund in seiner Rangordnung unterstützt, sondern nur, indem die Ursache des Problems beseitigt wird. Das kann auch bedeuten, dass man sich von einem oder mehreren Tieren trennen muss!!!

Hilfreich bei der Konfliktlösung zwischen Hunden eines Haushaltes können aber z.B. auch Verhaltensinterventionen sein, die auf operanter oder klassischer Konditionierung beruhen. Das bedeutet z.B., dass man die Aversion eines Hundes gegen einen anderen abbaut, indem man ein Trainingsprogramm durchführt, das eine positive Verknüpfung mit dem Auftauchen des verhassten Hundes herstellt (Leckerli oder andere Bestätigung/Belohnung – zunächst dann, wenn der Hund auf große Distanz ruhigen Blickkontakt hält, …..).

`    Beziehungen zwischen Hund und Mensch:

Offensichtlich existieren bisher keinerlei Forschungsergebnisse zur Bestimmung der Dominanz zwischen Hunden und Menschen!!! Dennoch wird zwischenartliche Dominanz als alleinseeligmachende Grundlage der erfolgreichen Hundeerziehung gepriesen.

Das ist besonders auch deshalb kaum zu verstehen, als sogar Uchida et al. in ihrer mittelmäßigen Arbeit aus dem Jahr 1997 zu dem Ergebnis kommen, dass nach Durchführung eines, nicht von Konfrontation geprägten Verhaltensmodifikationsprogrammes in 14 von 20 „dominant-aggressiven“ Hunden (70%) eine Verbesserung erzielt werden konnte, 4 dieser Hunde wurden als geheilt von ihrer (angeblichen) Dominanzaggression bezeichnet! Dieses Programm umfasste vorrangig folgende Punkte: 1. Vermeide jede Art der Konfrontation; 2. Schränke spontane Interaktionen ein; 3. Belohne den Hunde und schenke ihm Aufmerksamkeit primär, wenn er ein Kommando ausgeführt hat; 4. Tägliches Unterordnungstraining, das ausschließlich auf positiver Verstärkung aufgebaut ist; 5. Der Hund sollte täglich mindestens 20-30 Minuten „Ausdauertraining“ betreiben; 6. Stelle dem Hund 1-2x täglich für 15 Minuten Futter zur Verfügung.

Die Aufstellung dieses Trainingsprogrammes hat mich besonders erstaunt, nachdem ich diese Arbeit beinahe nicht fertig gelesen hätte, da Dominanzaggression anhand von 30 (!) Situationen definiert wurde, die mehr als fragwürdig erscheinen, wie folgende 6 Highlights zeigen Wecke den Hund durch Berührung; – störe den ruhenden Hund körperlich; – Leinenruck; – Schreie den Hund an; – Bedrohe den Hund visuell mit Zeitung oder Hand; – Schlage den Hund; ….. Alleine die Tatsache, dass selbst Veterinärmediziner zu solchem Unfug fähig sind, dann aber dennoch ein vernünftiges Trainingsprogramm aufstellen, das eigentlich (Gott-sei-Dank) gegen (fast) alle Regeln der Dominanztheorie verstößt und natürlich v.a. die erfreuliche Tatsache, dass dieses Trainingsprogramm innerhalb von 2 Monaten erfolgreich durchgeführt wurde, zeigt, wie unsinnig die Theorie ist, man müsse seinen Hund dominieren (siehe Punkt 1: Vermeide jede Art der Konfrontation!).

`    Offensichtlich ist es also besser, sich auf das Training, als auf die Herabstufung des Ranges zu verlassen.

Die schwerwiegendste Folge des Missverstehens der Dominanztheorie und das wahrscheinlich beste Argument für die Ablehnung ihrer Anwendung auf Hunde, ist der Schaden, den sie an der Beziehung zwischen Menschen und Hunden anrichtet. Die Dominanztheorie überzeugte Hundebesitzer davon, vollkommen natürliche Verhaltensweisen von Hunden als Anzeichen dafür zu werten, dass der Hund alle Macht an sich reißen möchte und verlangt vom Menschen, aggressiv gegen seinen Hund um die Position des Rudelführers / Alphas zu kämpfen. Solche Lebensumstände bedingen im Hund fehlende Sicherheit durch vollkommen irre, überzogene und nicht vorhersehbare Reaktionen seines Besitzers. Zudem wird die Bindung zwischen Hund und Hundeführer zerstört. Es wäre also von enormer Wichtigkeit, dass die Hundeführer nicht nur die Körpersprache ihres Hundes kennen (z.B. Beschwichtigungssignale), sondern diese auch respektieren und unverzüglich die Situation für den Hund entschärfen. Denn ein Hund der beschwichtigt wird im besten Falle noch so interpretiert, dass er die Situation hinnimmt, also quasi über sich ergehen lässt. Und dann sind alle mordsmäßig erstaunt, wenn der Hund scheinbar „plötzlich und ohne Vorwarnung“ explodiert, obwohl es sich längst angekündigt hat, dass der Hund in Bedrängnis ist.

Viele Hundeführer verwendeten und verwenden die Dominanztheorie als Rechtfertigung dafür, aggressiv gegen ihre Hunde vorzugehen. Resultat ist meist eine hoffnungslos ruinierte Beziehung zwischen Mensch und Hund und die Konsequenz ist leider sehr oft, dass der Hund völlig zu Unrecht als dominant-aggressiv eingestuft und daher eingeschläfert wird. In Wahrheit haben die meisten dieser angeblich dominanten Hunde einfach durch operante Konditionierung gelernt, ihre Umgebung so zu manipulieren, dass sie Zufriedenheit erlangen. Und wer würde denn erworbene Privilegien (Platz auf dem Sofa) freiwillig, ohne Einwand (Knurren,…) und ohne Motivation/gezieltes Training (Leckerli führt den Hund zum Körbchen) wieder abgeben – wir doch sicher auch nicht!!! Ändert der Hund sein Verhalten zum Negativen auf Grund seiner individuellen Erfahrung, die die Inkonsequenz seines Besitzers widerspiegelt, kann man das doch wohl schlecht dem Hund anlasten.

… und noch mehr Kritik am Dominanzkonzept:

Tatsächliche überschießende aggressive Reaktionen (die nicht vom Hundeführer initiiert wurden) sind extrem selten und fallen außerdem sowieso in den Bereich der Psychopathologie. Denn echte Dominanz, also das zeigen von Signalen ritualisierter Aggression bezieht sich auf normales Sozialverhalten im Sinne von zielgerichtet ritualisiertem, agonistischen Kommunikationsverhalten (Anstarren, Pfote in T-Stellung auf den Rücken legen, Imponieren, vorwärts gerichtete, steife Haltung, erhobener Schwanz, aufgestellte und nach vorne gerichtete Ohren). Solche ritualisierten Handlungen dienen immer der Vermeidung des Ernstkampfes.

Überhaupt hat der Begriff Dominanz nur dann einen Wert, wenn dadurch eine Unterscheidung zu anderen Begriffen möglich ist. Wird Dominanz nur als Synonym für z.B. Aggression, Gewinner, Fortpflanzungsstatus, Privilegien verwendet, könnte man doch gleich die bereits verfügbaren Begriffe, die weniger umstritten und unmissverständlicher sind, verwenden.

Das Dominanzkonzept kann nicht zur Beschreibung und Vorhersage herangezogen werden, da sich die Rangordnung für jeden Kontext ändert. Außerdem sind Rangordnungen vielfach das Ergebnis von Gefangenschaft und Stress. In der Natur wird Stress dadurch reduziert, dass das Tier die Möglichkeit hat, Konfrontationen zu vermeiden.

Alternativen zur Dominanztheorie:

Z.B. bietet die Lerntheorie einen extrem hohen beschreibenden, erklärenden und vorhersagenden Wert. Durch positive Verstärkung von erwünschten Verhaltensweisen und dem Ausbleiben von Verstärkung bei unerwünschtem Verhalten erzielt man nachhaltige Erfolge ohne die unerwünschten und v.a. nicht abschätzbaren Nebeneffekte, die bei Anwendung des Dominanzkonzeptes auftreten. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass durch Bestrafung (definiert als: prügeln, strenge Kommandos geben, den Hund wegschicken, Leinenruck) keine der gestellten Aufgaben (Stubenreinheit, Zerkauen von Gegenständen, Stehlen, Sitz, auf Befehl kommen, einen Gegenstand abgeben, Fußtraining) effektiver und nachhaltiger erlernt wurde, als durch Belohnung (definiert als: Spiel, Futter, Lob) und dass der generelle Gehorsam eines Hundes signifikant mit der Anzahl der auf Belohnungsbasis durchgeführten Trainings korrelierte. So können sowohl Hund als auch Mensch aus ihrer Interaktion Vorteile gewinnen, die Bindung wird gestärkt und wir fördern Ausbildungsmethoden, bei denen respektvoll mit Tieren umgegangen wird. 

Zum Schluss noch ein paar konkrete Widersprüche:

  • „… der Alpha geht immer voraus!“ Prinzipiell führt der zu diesem Zeitpunkt physisch und psychisch stärkste die Jagd an. Das heißt jedoch nicht notwendigerweise, dass er der Alpha (Vater) ist und schon gar nicht, dass er immer voraus geht, denn das wäre biologischer Schwachsinn. In schwierigem Gelände (z.B. tiefem Schnee) werden die Halbstarken vorausgeschickt. So sparen die wirklich erfahrenen Jäger ihre Kräfte für den entscheidenden Augenblick!
  • „… bei Ziehspielen immer Sieger bleiben – der Alpha verfügt über die Ressourcen!“ In einer Studie mit 50 Hunden konnte gezeigt werden, dass es keinerlei Effekt auf die Dominanz-Dimension einer Hund-Mensch-Beziehung hat, wer ein Spiel gewinnt, und dass Spiele mit viel Körperkontakt sogar das Zusammengehörigkeitsgefühl massiv stärken.
  • „… ach ja: Und können Sie Ihrem Hund übrigens das Futter wegnehmen?“ Tatsächlich verteidigt jeder Wolf, ganz egal, welchen Status er hat und wie schwach er körperlich ist, sein Futter – das ist einfach überlebenswichtig. Das heißt, Futterverteidigung gibt uns überhaupt keine Auskunft über den Dominanzstatus weder beim Wolf noch beim Hund!!! Der einzige Effekt, den solche tollen Spielchen haben, ist, dass man dadurch überhaupt erst Futteraggressivität erzeugt! Möchte man erreichen, dass der Hund einem vertraut und sich im Notfall auch mal „schlechtes“ Futter wegnehmen lässt, sollte man dem Hund öfters mal eine kleine Portion Futter in seine Schüssel geben und sobald er fertig gefressen hat hingehen, um ihm noch mehr Futter in die Schüssel zu geben – dann wird man damit sicher nie Probleme haben. Außerdem empfiehlt sich ein Training, in dem man z.B. einen Knochen o.ä. gegen etwas anderes mit dem Hund tauscht, um ihm den Knochen dann sofort wieder zurückzugeben. Das stärkt Bindung und Vertrauen und ebnet den Weg, dem Hund im Zweifel auch mal gefundenes Futter abzunehmen bzw. einzutauschen.
  • „… der Alpha beansprucht die höchst gelegene Stelle!“ Hunde, die knurren, beißen, …, wenn man sich dem Sofa nähert, auf dem sie gerade liegen, tun das meist deshalb, weil sie schon ziemlich rüde von dort vertrieben bzw. hinuntergestoßen/-gezogen wurden, anstatt dass man durch Erziehung mittels positiver Verstärkung das entsprechende alternative Verhalten gefördert hätte.

u.s.w…………………

Ein Dominanzkonzept, das aus schlampig durchgeführten Wolfstudien auf Hunde übertragen wurde, ohne je an Hunden untersucht worden zu sein, erscheint insgesamt mehr als fragwürdig und kann nach aktuellem Wissensstand nicht aufrechterhalten werden!!!

Nach Günther Bloch müssen die im Hundeerziehungsbereich gebräuchlichen Begriffe „Alpha“, „Rudelführer“, „Hierarchie“ und „Dominanz“ nach neuesten Erkenntnissen komplett überdacht und gegebenenfalls neu definiert werden, da sie bei vielen Hundehaltern zu völlig falschen Schlussfolgerungen führen!!!

Zitat von Clarissa v. Reinhardt (Februar 2005): „Was versucht man zu dominieren? Das, wovor man sich fürchtet!!!“

Referenzen:

1.       Bloch G: Verhaltensbeobachtungen an Wölfen zur Bewertung der im Hundeerziehungsbereich gebräuchlichen Begriffe “Alphawolf”, “Rudelführer” und “Dominanz”. Internationales Hundesymposium 13-22, 2003

2.       Eaton B: Dominanz – Tatsache oder fixe Idee? Animal Learn Verlag, 2004

3.       Hiby EF, Rooney NJ, Bradshaw JWS: Dog training methods: their use, effectiveness and interaction with behaviour and welfare. Animal Welfare 13: 63-69, 2004

4.       Hsu Y, Wolf LL: The winner and the loser effect: What fighting behaviours are influenced? Animal Behaviour 61: 777-786, 2001

5.       Mech DL: Alpha status, dominance, and division of labor in wolf packs. Canadian Journal of Zoology 77: 1196-1203, 1999

6.       O’Heare J: Die Dominanztheorie bei Hunden. Eine wissenschaftliche Betrachtung. Animal Learn Verlag, 2005

7.       Rooney NJ, Bradshaw JWS: An experimental study of the effects of play upon the dog-human relationship. Applied Animal Behaviour Science 75: 161-176, 2002

8.       Rooney NJ, Bradshaw JWS: Links between play and dominance and attachment dimensions of dog-human relationships. Journal of Applied Animal Welfare Science 6: 67-94, 2003

9.       Specht A: Schlagwort Dominanz – Ausdruck erzieherischer Hilflosigkeit? Wuff 4: 10-15, 2004

10.   Teutsch GM, Feddersen-Petersen DU. In Grundlagen einer tierschutzgerechten Ausbildung von Hunden. Verband für das deutsche Hundewesen (Editor); Dortmund, 2003

11.   Uchida Y, Dodman N, deNapoli J, Aronson L: Characterization and treatment of 20 canine dominance aggression cases. Journal of Veterinary Medical Science 59: 397-399, 1997

12.   van Kerkhove W: A fresh look at the wolf-pack theory of companion-animal dog social behaviour. Journal of Applied Animal Welfare Science 7: 279-285

13.   Zimen E: Social dynamics of the wolf pack. In The wild canids: Their systematics, behavioral ecology and evolution (pages 336-362). WM Fox (Editor); New York: Van Nostrand Reinhold, 1975

 

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